- Rückversicherungsvertrag und Mittelmeerentente
- Rückversicherungsvertrag und MittelmeerententeMittelmeerentente Der deutsche Reichskanzler Bismarck hatte sich bis zu seiner Entlassung 1890 bemüht, den neu erstandenen preußisch-deutschen Großstaat im europäischen Mächtesystem zu etablieren und mit einer ausgleichenden Außenpolitik den Frieden in Europa in den sich häufenden Krisensituationen zu bewahren. Das gelang ihm mithilfe einer sorgfältigen Bündnispolitik.Das seit dem Berliner Kongress gestörte Verhältnis zu Russland sollte wieder normalisiert werden. Zwar ging Bismarck 1879 mit Österreich-Ungarn den Zweibund ein, dem sich 1882 Italien anschloss, und stärkte die Donaumonarchie gegen russische Ambitionen auf dem Balkan, aber er hielt den Kontakt mit St. Petersburg weiter aufrecht und erneuerte 1881 im Dreikaiserbündnis das bereits 1872 zustandegekommene informelle Bündnisverhältnis zwischen Russland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich. Dieses Abkommen konnte 1884 noch einmal verlängert werden, aber eine umfassende Abgrenzung der österreichischen und russischen Interessensphären auf dem Balkan war nicht zu verwirklichen.Bismarcks Hauptaugenmerk in seiner Bündnispolitik galt der Isolierung Frankreichs. Der »Erbfeind« sollte nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg daran gehindert werden, in einer anderen europäischen Großmacht einen Bündnispartner für einen Krieg gegen Deutschland zu finden. So bestimmte der »cauchemar des coalitions« (Albtraum der Koalitionen) seine Politik seit 1871.Als 1887 eine neuerliche Balkankrise die weitere Verlängerung des Dreikaiserbündnisses unmöglich machte, schloss Bismarck mit Russland - im Einverständnis mit Wien - ein zweiseitiges Abkommen, das er selbst »Rückversicherungsvertrag« nannte. Der Vertrag war umstritten und wurde streng geheim gehalten. Ein gegenseitiges Neutralitätsversprechen schützte Deutschland vor einer russischen Unterstützung eines französischen Angriffs und Russland vor deutscher Waffenhilfe bei einem österreichischen Angriff. Der Vertrag bot Russland Rückendeckung gegenüber Großbritannien in Asien und signalisierte in einem Protokoll Zustimmung für die Angriffspläne auf die Meerengen.Mit Bismarcks Einverständnis kam im gleichen Jahr 1887 zwischen Österreich-Ungarn, Italien und Großbritannien eine Mittelmeerentente zustande, mit der der Status quo im Mittelmeer und die Unabhängigkeit der Türkei garantiert wurden. Es war die einzige vertragliche Bindung, die das Inselreich auf dem Kontinent einging; trotz gleich bleibend guter Beziehungen zu Deutschland konnte es sich zu keinem engeren Zusammengehen mit dem Reich Bismarcks entschließen und verharrte in seiner Haltung der »splendid isolation«. Der Gegensatz zwischen den Zielen des Mittelmeerabkommens und den bismarckschen Zugeständnissen an Russland im Rückversicherungsvertrag war augenscheinlich. Ganz offensichtlich war der Vertrag mit Russland ein Abkommen auf Zeit, das Bismarck abschloss, als die Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Russland unüberbrückbar schienen.Als unmittelbar nach Bismarcks Demission 1890 sein Nachfolger Caprivi den Rückversicherungsvertrag nicht mehr verlängerte, kam sehr schnell die französisch-russische Verständigung zustande.
Universal-Lexikon. 2012.